'.. ihr habt mir die Welt schön gemacht..'

 

 

 

 

 

 

Jedes Jahr packen wir Weihnachtspäckchen für das marianne-doell-haus in Hamburg - unsere Clubschwester Jutta arbeitet dort aktiv mit. Sie schrieb uns:

"Ihr habt mir die Welt schön gemacht" das waren die Worte einer jungen Frau, die etwa seit 6 Wochen im MDH wohnt, nach der Weihnachtsfeier. Ich saß zufällig an dem Abend neben ihr und konnte mich daran erfreuen, als sie ihr Päckchen auspackte.

Etwa die Hälfte der Frauen packte aus, die andere hob sich das Päckchen für Weihnachten auf. Diejenigen die auspackten waren begeistert und freuten sich von Herzen. Es waren aber auch wirklich tolle Sachen!!

Danke euch allen!

Ich wünsche euch frohe Weihnachten!

Jutta

.. und hier der Weihnachtsbrief des mariannne-doell-haus-Teams:

Hamburg im Dezember 2018

Liebe Frau Präsidentin Wagenmann, liebe Clubschwestern,

bestimmte Angelegenheiten sind manchmal nicht aufzuschieben, andere Dinge hingegen schon. Was ist wirklich wichtig? Das ist nicht nur in den Wochen vor Weihnachten von Belang. Sind wir überwiegend dabei, betriebsam unsere Listen abzuarbeiten oder halten wir auch ab und zu inne und versuchen, uns in wichtigen Momenten Zeit und Aufmerksamkeit füreinander zu nehmen? Zeit (und vielleicht auch Mühe, Geld oder Nerven), die wir eigentlich für andere Sachen geplant hatten… .

Eine Legende aus Russland über das Mütterchen Babuschka erzählt:

In einer kalten Winternacht schickt sie sich gerade an, ins warme Bett zu schlüpfen, als es an die Tür klopft. Sie hört nicht darauf. Das Klopfen wird lauter. Schließlich öffnet sie die Tür. Draußen stehen Hirten mit roten Nasen und Schnee im Haar. Aufgeregt erzählen sie dem Mütterchen von einem königlichen Kind, das nicht weit entfernt in der Nacht geboren wurde.

Komm schnell, Babuschka“, sagt der Ältere, „komm schnell, du kannst mit Kindern umgehen.“ Babuschka schüttelt den Kopf. Zu warm ist das Bett und zu kalt pfeift der Wind durch den Türspalt. „Morgen“, sagt das Mütterchen, „wartet bis morgen.“

Die Hirten ziehen enttäuscht ab. Kurz darauf klopfen sie wieder an die Tür. Um einen Korb betteln sie, um etwas Fleisch oder Brot. Sie wollen es selbst zum Kind bringen. „Morgen“, sagt Babuschka.

Am nächsten Tag hält sie tatsächlich ihr Wort. Sie packt einen Beutel mit Geschenken: einen Schal für die Frau, einen silbernen Löffel für den Jungen, Spielzeug und Schachfiguren aus Elfenbein. Aber als sie ankommt, ist der Stall leer. Er ist leer.

Das marianne-doll-haus ist nicht leer: es ist bewohnt, belebt und bewirtschaftet. Dank Menschen wie Ihnen, die uns in diesem Jahr erstmalig oder wiederholt Ihre Aufmerksamkeit, Mühe und Geld (und vielleicht auch Nerven?) geschenkt haben. Sie haben unsere Arbeit für die Bewohnerinnen in vielfältiger Weise großzügig unterstützt: so erhielten wir regelmäßige oder einmalige finanzielle Zuwendungen, Sie feierten Feste zu unseren Gunsten, wir profitierten von einer Spendenaktion Ihrer Firma, Sie sorgten für Kaffee und Kekse in den Sprechstunden, Sie brachten uns Hausrat, Kleidung, Handtaschen und Schuhe, Sie haben Nikolaustüten und Weihnachtspäckchen für die Bewohnerinnen zusammengestellt, Sie erledigten und bezahlten den Einkauf für das große Weihnachtsessen im Hause. Für alle diese Formen des Mittuns und Helfens danke ich Ihnen sehr herzlich auch im Namen des Teams und der Bewohnerinnen. Nur durch Ihre so großartige Mitwirkung ermöglichen Sie uns, unsere Arbeit in bewährter Form zu leisten!

Im Verlauf dieses Jahres sind 15 Bewohnerinnen bei uns ausgezogen. Mit der durchschnittlichen Verweildauer liegen wir deshalb auch nur bei 9 Monaten.

13 Frauen fanden ihre eigene Wohnung, eine schloss einen Untermietvertrag mit ihrem Freund und eine verließ uns nach sehr kurzer Zeit mit unbekanntem Ziel. Das bedeutet für dieses Jahr eine höhere Fluktuation als in den Vorjahren und liegt im Wesentlichen wahrscheinlich daran, dass wir im Schnitt deutlich ältere Bewohnerinnen hatten. Vermieter scheinen mehr Vertrauen in Ältere zu setzen, denn hinsichtlich etwaiger Besonderheiten oder auch Schuldensituationen unterschieden sich unsere jüngeren Frauen nicht grundsätzlich von den älteren. Die Altersspanne reichte von 19 – 57 Jahre; sechs waren unter 25 Jahre, sieben von ihnen waren 25 – 50 Jahre und zwei waren 50 – 60 Jahre alt.

In diesem Jahr haben gleich mehrere Frauen ihre Wohnung im Stadtteil Langenhorn gefunden und so kamen sie etwas scherzhaft auf die Idee, dass doch eine Zweigstelle des marianne-doell-hauses (natürlich nur in Form eines Büros und eines Gruppenraums) in Langenhorn toll wäre. Dieser Wunsch kann ihnen zwar nicht erfüllt werden, aber die Frauen können sich auf eine Nachbetreuung durch eine unserer erfahrenen, ehrenamtlichen Mitarbeiterin freuen.

Ansonsten freuen wir uns - nach 20-jähriger Nutzung - über die neuen Kücheneilen sowie über das neue Mobiliar der Appartements. Im Frühjahr wurden die letzten Arbeiten abgeschlossen. Alle Bewohnerinnen waren in der Handwerkerphase hochgradig kooperativ und freuten sich riesig über den neuen Look. Wir uns auch!

Im Herbst konnten wir den Frauen eine Übernachtungsreise nach Ratzeburg ermöglichen: Freude und Erfolg waren – erwartungsgemäß – das Ergebnis!

Das Engagement für Wohnungslose ist nach wie vor unerlässlich. Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig. Wie schnell Menschen durch einen oder mehrere Schicksalsschläge aus ihrem bürgerlichen Leben gerissen werden können, zeigt das Beispiel einer 54-jährigen Frau, die nach langem Aufenthalt in der Psychiatrie ins marianne-doell-haus einzog:

Frau S. wuchs mit 4 Geschwistern bei ihren Eltern in Danzig auf und machte dort nach einer Kindheit mit normalen Höhen und Tiefen mit 18 Jahren Abitur. Danach begann sie eine Ausbildung im Rehabilitationssport. Sie lebte während dieser Zeit weiterhin zu Hause. Mit 23 Jahren folgte sie ihrem damaligen Freund nach Hamburg, der Danzig zwei Jahre zuvor verlassen hatte.

Frau S. absolvierte in Hamburg eine Ausbildung zur Arzthelferin. Mit 24 Jahren hat sie geheiratet und in ihrem Beruf gearbeitet. Mit 38 Jahren bekam Frau S. eine Tochter, obwohl ihr Mann keine Kinder wollte. Die Beziehung zum Ehemann wurde schwierig. Das Paar trennte sich und Frau S. verließ mit ihrer 4-jährigen Tochter die eheliche Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie als Pharmareferentin, so dass sie zusammen mit ihrem Kind eine schöne 3-Zi-Wohnung in der Nähe beziehen konnte. Sie arbeitete sehr viel. Zu allen Zeiten, in denen sich Frau S. aus beruflichen Gründen nicht um ihre Tochter kümmern konnte, übernahm das ihr Ehemann.

Zeitnah starben ihr Vater und ein ihr nahestehender Onkel. Der Vater litt, wie auch ihr älterer Bruder, der sich einige Jahre vorher das Leben genommen hatte, an einer bipolaren Störung. Frau S. erfüllte die Anforderungen im Job, kümmerte sich im Rahmen des Möglichen um ihre Tochter und fühlte sich zunehmend unwohl und überlastet. Deswegen hatte sie mit Mitte Vierzig das erste Mal Kontakt zu einem niedergelassenen Psychiater. Sie begann mit der Einnahme von Psychopharmaka, deren Dosis sie im Verlauf erhöhte, indem sie ohne Wissen ihres Arztes weitere Ärzte aufsuchte, um sich mehr von den verschreibungspflichtigen Medikamenten zu besorgen.

Die Belastungen spitzten sich zu: In 2011 starb ihre Mutter, was ihr außerordentlich nahe ging. In 2012 absolvierte Frau S. eine Entgiftung wegen ihrer entwickelten Medikamentenabhängigkeit. Ein Jahr später wurde ihre Ehe geschieden. Seitdem hatte Frau S. Kontakt zum Jugendamt. Die Mitarbeiterinnen bemerkten psychische Auffälligkeiten der Tochter und sorgten für therapeutische Hilfen. Frau S. war seit ihrem Medikamentenentzug krankgeschrieben, verlor im weiteren Verlauf ihre Arbeitsstelle und rutschte letztlich in den Bezug von ALG II. Dieser für sie völlig neue Status ließ sie komplett verzweifeln. Die ohnehin längst festgestellte Depression verschlimmerte sich und die ebenfalls diagnostizierte bipolare Störung bahnte sich ihren Weg, weil Frau S. die Einnahme der diesbezüglich helfenden Medikamente irgendwann einstellte.

Die zunehmenden Spannungen zwischen Mutter und Tochter führten zum Umzug der Tochter zum Vater. Ab diesem Moment entglitt Frau S. ihr Leben auf ganzer Linie: sie kümmerte sich nicht mehr um ihre Angelegenheiten, was letztlich zur Räumungsklage führte. Weil Frau S. in dem Moment hochgradig suizidal war, wurde sie gegen ihren Willen für einige Tage in die Psychiatrie gebracht. Leider blieb sie nicht zur Anschlussbehandlung im Krankenhaus; stattdessen siedelte sie für kurze Zeit in eine Notunterkunft. Medikamente nahm sie nicht mehr ein. Die Tochter brach den Kontakt zur jetzt obdachlosen Mutter komplett ab. Das war zu viel für Frau S.: sie zog bis Herbst 2016 mal alleine, mal in Begleitung draußen umher bis sie eines Tages so augenscheinlich hilfebedürftig war, dass ein Passant einen Rettungswagen rief, der sie in die Psychiatrie brachte.

Während des langen Klinikaufenthaltes wurde eine gesetzliche Betreuung eingesetzt, die später den Kontakt zum marianne-doell-haus herstellte. Über diesen Weg zog bei Frau S. nach ihrem langen Leidensweg bei uns ein. Sie war weiterhin krankgeschrieben, eine ambulante psychosoziale Betreuung (ASP) wurde zusätzlich installiert und wir hatten anfänglich fast täglich mit Frau S. zu tun. Sie war sehr traurig, angespannt und des Lebens müde. Sie litt enorm darunter, dass ihre Tochter nach wie vor jeden Kontakt zu ihr verweigerte. Aber in unseren Sprechstunden gab es auch andere Gespräche: es gab Geschichten über Danzig, das Meer und andere Dinge. Schöne Erinnerungen und wohltuende Bilder konnten für Momente von Trauer und Kummer ablenken und langsam fasste Frau S. ein bisschen Vertrauen: sowohl zu Mitbewohnerinnen als auch zu uns. Letztlich freundete sich Frau S. mit einer anderen Bewohnerin an und die beiden entwickelten sich zu einem guten Team. Auch ein Aufenthalt in einer Tagesklinik half ihr beim Einüben von neuen Tagesstrukturen und gab Auftrieb. So kam sie ganz langsam in die Lage, sich auf die Wohnungssuche zu begeben.

Nach fast anderthalb Jahren, die von vielen Höhen und Tiefen geprägt waren, hatte sie irgendwann Glück: sie unterschrieb einen Mietvertrag für ihre Wohnung in einer Stiftung. Und das Beste: die Wohnung liegt im selben Stadtteil, in dem auch ihre bereits vorher ausgezogene neue Freundin wohnt: …in Langenhorn! Und falls es wieder zu Krisen kommt, dann steht die ambulante psychosoziale Betreuung (ASP) Frau S. auch in Langenhorn weiter zur Seite!

Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Freunden ein gesegnetes Weihnachtsfest. Mögen Sie Zeit haben für alles, was wirklich wichtig ist oder auch einfach nur Freude macht.

Herzliche Grüße aus dem marianne-doell-haus und alles Gute für das neue Jahr,

Susanne Rohrmann & Team

 




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